News 5 March 2020
FIRST PERSON PLURAL – das Filmprogramm
Die Vorbereitungen für das 33. European Media Art Festival, das am 22. April eröffnet wird, laufen auf vollen Touren. Begonnen haben sie bereits im vergangenen Jahr. Bis Ende des Jahres haben rund 2.500 Filmemacher*innen ihre Arbeiten für die Sichtung durch die fünfköpfige Auswahlkommission unter der Leitung von Festivaldirektorin Katrin Mundt eingereicht. Gemeinsam mit ihr haben Godart Bakkers, Juan David González Monroy, Stefanie Plappert und Sebastiaan Schlicher daraus 120 Filme aus vierzig Ländern ausgewählt.
Zahlreiche Beiträge des diesjährigen Internationalen Wettbewerbs widmen sich der Frage, wie wir in der Gegenwart die Spuren der Vergangenheit und die Lücken in unserem persönlichen und kollektiven Erinnern dingfest machen können. Salma Shamel bezieht sich in ihrer Arbeit auf ein Komitee, das nach der ägyptischen Revolution 2011 gebildet wurde, um ein Archiv der jüngsten Vergangenheit zu erstellen. Sie fragt darin nach der Möglichkeit, einen revolutionären Moment medial zu fassen. Lawrence Abu Hamdan porträtiert einen Mann, der sich als Reinkarnation eines getöteten libanesischen Widerstandskämpfers betrachtet, und fragt, wie sich unser Verhältnis von Geschichte verändert, wenn sie nicht nur in Objekten, sondern auch in Körpern weiterlebt.
Andere Arbeiten finden neue künstlerische Zugänge zu Landschaften, in denen exzessives Wirtschaften, Kolonisierung oder Naturkatastrophen ihre Spuren hinterlassen haben. Diana Vidrascu führt uns an einen Ort, an dem sich Vulkane und Phantominseln, natürliche und übernatürliche Phänomene zu einer surrealen Landschaft verdichten. Ana Vaz rekonstruiert anhand von historischen Kinderzeichnungen und Interviews die Verbrechen, die unter der brasilianischen Militärdiktatur an der indigenen Bevölkerung begangen wurden. Dabei deutet sie zugleich die Möglichkeit eines anderen Lebens und Zusammenlebens an.
Weitere Filme untersuchen die Schnittstellen, Anziehungs- und Abstoßungskräfte zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Körpern. Chloé Galibert-Laîné fragt, inwiefern die Kommunikation über soziale Medien Raum lässt für das Einfühlen in das Leiden anderer, und wie diese die virale Ausbreitung von Leid befördern. Stefan Panhans & Andreas Bunte untersuchen die Lücke, die sich zwischen spontanen und programmierten Bewegungen auftut. Unter Laborbedingungen studieren Performer*innen das kontrollierte Fallen ein – eine mühsame Annäherung an die Imperfektion von Avataren.
In der Langfilmsektion ist unter anderem Jessica Sarah Rinlands neue Arbeit zu sehen, die in bestechenden Bildern die Prozesse der museologischen und ökologischen Konservierung beleuchtet – die Materialität von Originalen und ihren Doubles, die Präzision und Eleganz eingeübter Gesten. Konservator*innen, ihre Werkzeuge und Objekte werden hier zu gleichberechtigten Akteuren. Camilo Restrepos jüngst bei der Berlinale ausgezeichnetes Langfilmdebüt kreist um einen jungen Mann, der, gerade einer religiösen Sekte entflohen, wieder und wieder von den Gespenstern der Vergangenheit heimgesucht wird. Ein filmischer Trip, der sich zwischen physischer und halluzinierter Realität bewegt und dabei ein eindrückliches Bild der kolumbianischen Gegenwart zeichnet.
Als historischen Langfilm zeigt das EMAF Howard Alks The Murder of Fred Hampton aus dem Jahr 1971, ein Porträt des charismatischen Vorsitzenden der Black Panther Party von Illinois, der mit nur 21 Jahren von der Polizei im Schlaf erschossen wurde. Der Film liefert eine minutiöse Aufarbeitung des Mordes und vermittelt dabei ein vielschichtiges Bild der Initiativen der Black Panther Party für ein besseres Leben nicht nur der schwarzen Bevölkerung unter Hamptons Leitspruch „All Power to All People“.
Das umfangreiche, von Herb Shellenberger (London) kuratierte Programm zum Festivalthema First Person Plural umfasst Filme vom frühen 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart, die um die Motive von Gesicht und Maske kreisen. Was offenbart ein Gesicht auf der Leinwand? Wann sagt eine Maske mehr aus als der scheinbar authentische Ausdruck eines menschlichen Gesichts? Das Ich vor der Kamera ist immer ein multiples – auch und besonders im Selbstporträt, und im Bild vom „Fremden“ wollen wir oft genug nur uns selbst begegnen. Nicht zuletzt können Camouflage, Verdopplung und Verstellung als Strategie dienen, politische und gesellschaftliche Zustände zu demaskieren. Dokumentarische Klassiker wie Johan van der Keuken stehen hier neben künstlerischen Filmen von Maria Lassnig, Suzan Pitt und Juan Downey sowie aktuellen Arbeiten unter anderem von Aaron Zeghers & Lewis Bennett, belit sağ und The New Red Order.
Die Künstler Steve Reinke (Chicago) und Jaakko Pallasvuo (Helsinki) zeigen unter dem Titel The New Death ein Programm, das alternative Erzählungen zum gegenwärtig so präsenten Bedrohungsszenario eines unausweichlichen Sterbens und Aussterbens von Spezies vorschlagen. Die ausgewählten Filme erzählen von Wesen, in denen Menschliches und Nichtmenschliches, Lebendiges und Nichtlebendiges verschmelzen, die zugleich mehr und weniger als ein Ganzes sind. Es geht um Lust, die sich am Tod entzündet und ihn dadurch überwindet, und das Zusammenleben von Generationen, das den Tod, also das Nacheinander, immer im Blick behält. Und nicht zuletzt wird das Erzählen selbst zum Thema, das den linearen Fluss der Zeit auf ein Ende hin aufschieben, verkomplizieren und rückgängig machen kann. Zu sehen sind Arbeiten von Keren Cytter, Anastasia Sosunova, Barry Doupé, Fuyuhiko Takata, Germaine Dulac, Lu Yang, Angelo Madsen Minax, Andrew Norman Wilson und anderen.
Wir laden Sie herzlich ein, das 33. European Media Art Festival zu besuchen und bei der Eröffnung am 22. April um 19.30 Uhr in der Kunsthalle Osnabrück dabei zu sein.
Mit besten Grüßen
Das Team des European Media Art Festivals 2020
